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Von den Vorteilen, sich dumm zu stellen

Davon weiß ich nichts – oder doch? Was Mitarbeitende dazu bewegt, ihr Wissen voreinander zu verbergen, erforscht Professorin Laura Venz. Als Arbeits- und Organisationspsychologin wirft sie einen Blick auf die kleinen und großen Zusammenhänge, die die Arbeitswelt bewegen

Wissensmanagement

Keine Ahnung? Das kann auf ein schlechtes Wissensmanagement im Unternehmen hindeuten

Frau Prof. Venz, Sie forschen im Moment zu vielen verschiedenen Themen im Arbeitskontext, dabei haben Sie in einer Untersuchung den Zusammenhang zwischen Unhöflichkeit und dem Verbergen von Wissen ausgearbeitet. Worum ging es bei dieser Studie konkret?

Wir haben uns in einer sogenannten Tagebuchstudie angeschaut, wie die Wahrnehmung von Unhöflichkeit – dazu zählt beispielsweise, von Kolleg:innen ignoriert oder aus einem Gespräch ausgeschlossen zu werden – mit dem Verbergen von Wissen vor Kolleg:innen zusammenhängt. Die Studienteilnehmenden beantworten über mehrere Tage hinweg täglich kurze Fragebögen zu ihrem jeweiligen Arbeitstag. Zudem haben wir untersucht, welche Rolle stabile Personeneigenschaften – Selbstkontrolle und „Entitlement“ (Erwartung besonders guter oder gar bevorzugter Behandlung) – für die individuelle, unmittelbare Reaktion auf Unhöflichkeit spielen.

Wie viele Arten, sein Wissen zu verstecken, haben Sie gefunden? Und was unterscheidet sie?

Generell verstehen wir unter dem Verbergen von Wissen, dass eine Person eine Information, die sie besitzt, bewusst nicht an eine fragende Person weitergibt. In der Forschung unterscheiden wir drei Arten, Wissen am Arbeitsplatz zu verbergen: rationales Verbergen, verschleierndes Verbergen und Sich-dumm-stellen. Rationales Verbergen bedeutet, dass die Person Gründe angibt, warum sie das Wissen nicht weitergeben kann, zum Beispiel, weil es sich um eine vertrauliche Information handelt. Verschleierndes Verbergen bedeutet, dass die Person durchaus Informationen teilt oder dies vorgibt, die geteilten Informationen allerdings beispielsweise unvollständig oder verzerrt weitergibt. Sich dumm stellen bedeutet, wie der Begriff nahelegt, so zu tun, als hätte man die angefragte Information nicht.

Laura Venz

Sind wir beispielsweise müde, ausgebrannt oder auch verärgert, fällt uns Selbstkontrolle schwerer

Prof. Dr. Laura Venz

Arbeits- und Organisationspsychologin

Welche der Arten ist für Unternehmen gefährlich? Worauf und wie wirkt sich das konkret negativ aus?

Prinzipiell bergen alle drei Arten Risiken. Durch den klaren Täuschungscharakter scheint es aber vor allem das Sich-dumm-Stellen zu sein, das die meisten Nachteile mit sich bringt. In Anbetracht der Wichtigkeit von Wissen ist klar, dass das Verbergen von Wissen im Arbeitskontext mit vielen Nachteilen einhergeht. Die Folgen sind eine niedrigere Leistung, niedrigere Kreativität und ein schlechteres Betriebsklima. Es können sich Spiralen negativen Verhaltens entwickeln: Unhöflichkeit und das Verbergen von Wissen verstärken sich gegenseitig und können sich wie ein Virus im Unternehmen verbreiten. Spannenderweise glauben Personen auch selbst, dass das Verbergen von Wissen das Miteinander schädigt – trotzdem kommt es vor, dass sie sich dumm stellen.

Welchen Vorteil hat man, wenn man sich dumm stellt? Welchen Reiz hat es, Wissen nicht zu teilen bzw. für sich zu behalten? Welche Auswirkungen hat das kurz-, aber auch langfristig?

Dafür gibt es zwei Erklärungen: Zum einen zeigt sich, dass Personen ihr Wissen verbergen, um als Reaktion auf eine erlebte Unhöflichkeit oder einen Konflikt ein Gefühl der Gerechtigkeit herzustellen. Zum anderen kann das Verbergen von Wissen auch schlicht mit individuellen Vorteilen verbunden sein, da es Ressourcen schont. Das Teilen von Wissen kostet Zeit und Energie, die beim Verbergen gespart werden. Dieser Vorteil ist nur kurzfristig, da ständiges Zurückhalten von Wissen die Zusammenarbeit nachhaltig schädigen kann. Doch ich konnte in einer meiner Tagebuchstudien zeigen, dass an einzelnen Tagen dieser individuelle Vorteil des Ressourcenschonens die Nachteile vollständig ausgleichen kann. Dies deutet darauf hin, dass wir den kurzfristigen Vorteilen mehr Beachtung schenken müssen, um die Entstehung langfristiger Schäden vermeiden zu können.

Sie schreiben in Ihrer Studie, dass Selbstkontrolle etwas damit zu tun hat, wie Menschen auf Unhöflichkeiten reagieren. Menschen mit mehr Selbstkontrolle teilen ihr Wissen also trotzdem?

Ja, genau. Diese Studie zeigt zwei wichtige Aspekte von Selbstkontrolle im Zusammenhang mit dem Verbergen von Wissen auf. Personen mit hoher Selbstkontrolle neigen weniger dazu, ihr Wissen zu verbergen, und reagieren weniger wahrscheinlich auf erlebte Unhöflichkeit mit sich dumm stellen. Prinzipiell lässt sich Selbstkontrolle trainieren und erlernen. Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle in einem bestimmten Moment hat aber auch sehr viel mit den aktuell vorhandenen Ressourcen zu tun – sind wir beispielsweise müde, ausgebrannt oder auch verärgert, fällt uns Selbstkontrolle schwerer.

So verbreitet sich auch Freundlichkeit wie ein Virus

  • Freundliches Verhalten offen wertschätzen und nicht als Selbstverständlichkeit abtun.
  • Kultur muss leben: Unternehmensleitung und Führungskräfte machen es vor.
  • Negatives Verhalten ernst nehmen: Subtile Diskriminierung, sexuelle Belästigung oder Führungskräfte, die Mitarbeitende anschreien, müssen klar als nicht okay angesprochen werden – und zwar „von oben“, also durch Führungskraft und Leitungsebene.

Was kann man dagegen unternehmen, dass Wissen in Unternehmen nicht geteilt wird? Wann wird besonders viel Wissen geteilt?

In einem guten Teamklima, das von Vertrauen und selbstverständlicher gegenseitiger Unterstützung geprägt ist, wird eher Wissen geteilt. Wichtig ist auch, dass es mehr Anreize gibt, Wissen zu teilen, statt solcher, Wissen für sich zu behalten. Dass also beispielsweise keine Quoten für die jährliche Leistungsbeurteilung vorherrschen und genügend Ressourcen für das Erledigen der Arbeit vorhanden sind. Wenn Teamleistung vor individueller Leistung steht und die Wichtigkeit von Kollaboration betont und aktiv eingefordert wird, wird auch besonders viel Wissen geteilt.

Freundlich sein und Wissen teilen: Nur so kann Teamarbeit wirklich gut funktionieren
Freundlich sein und Wissen teilen: Nur so kann Teamarbeit wirklich gut funktionieren
Adobe Stock/Halfpoint

Wirkt sich eine Kultur, in der Wissen nicht geteilt wird, auch persönlich negativ aus?

Als soziale Wesen sind wir Menschen in der Regel bestrebt, positive soziale Beziehungen zu haben; wir wollen uns anderen Menschen verbunden fühlen. Das gilt auch am Arbeitsplatz. Eine Kultur, in der Wissen nicht geteilt wird, in der sich jede:r selbst am nächsten ist, steht diesem menschlichen Grundbedürfnis entgegen. Darunter leiden die eigene Zufriedenheit und das Wohlbefinden.

Wie kann gelingendes Wissensmanagement in einer digitalen Arbeitskultur aussehen?

Die Digitalisierung bietet hier viele Möglichkeiten und Vorteile. So können beispielsweise Cloud-Lösungen genutzt werden, die ein Teilen und Speichern von Wissen ermöglichen und vereinfachen. Anstatt bestimmte Informationen immer nur mündlich weiterzugeben, können diese systematisch gesammelt und gespeichert werden. Unternehmen könnten beispielsweise ein Unternehmens-Wiki aufbauen oder eine FAQ-Seite für neue Mitarbeitende. Insgesamt können auch Ansätze des E-Learnings eingebunden werden, die Einführung in Maschinen könnte zum Beispiel mithilfe von Videos erfolgen. So lässt sich Wissen sogar relativ einfach über Länder, Kontinente und Zeitzonen hinweg teilen.

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