Gute Laune beginnt im Darm
Was wir essen, wirkt direkt auf unser Wohlbefinden. Dr. med. Jochen Hansel, Experte für Innere Medizin und Prävention, erklärt, wie die Darm-Hirn-Achse Stimmung, Stressresistenz und Gesundheit steuert – und wie Ernährung das Mikrobiom stärkt.
Prävention & Ernährung
Dr. med. Jochen Hansel
Leitender Arzt ias PREVENT Stuttgart, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, Zusatzqualifikation Sportmedizin, Gesundheitsförderung und Prävention, Notfallmedizin und fachgebundene genetische Beratung
„Das muss ich erst einmal verdauen.“ Jeder von uns kennt das mulmige Gefühl, wenn uns eine schlechte Nachricht auf den Magen schlägt. Kein Wunder, denn der Darm steht in ständigem, wechselseitigem Austausch mit unserem Gehirn. Wie eng unsere Gefühlswelt tatsächlich mit unserem Verdauungsorgan zusammenhängt, vermittelt uns das Forschungsgebiet der Ernährungspsychiatrie, welches die sogenannte „Darm-Hirn-Achse“ tiefergehend untersucht.
Die Darm-Hirn-Achse funktioniert als eine Art Kommunikationsverbindung zwischen beiden Organen, die mitverantwortlich für unser Denken, Fühlen und Handeln ist. So können sich einerseits Veränderungen des Darmmikrobioms, beispielsweise bei einer Störung der Darmflora (Dysbiose), negativ auf unsere Gefühlswelt und Psyche ausüben. Aber auch andersherum können sich Wechselwirkungen zeigen und eine bidirektionale Rückkopplung auslösen: Sind wir gestresst, negativ gestimmt oder leiden an psychischen Belastungen, kann dies unsere Darmfunktion stören und aus dem Gleichgewicht bringen.
Der Vagusnerv – das ‚Sprachrohr‘ zwischen Darm und Gehirn
Ähnlich wie bei einem Telefonat , verläuft die Kommunikation der Darm-Hirn-Achse in beide Richtungen. Der Vagusnerv stellt blitzschnell die Verbindung zwischen beiden Organen her und ermöglicht einen wechselseitigen Austausch an Informationen. So leitet der längste und am weitesten verzweigte Nerv in unserem Körper rund 90 Prozent der Signale in Richtung Hirn, um unserem Denkorgan lebenswichtige Nachrichten über unseren Verdauungstrakt mitzuteilen, und ist somit für das Gesamtgleichgewicht unseres Körpers entscheidend. Was haben wir heute gegessen? Und, wie geht es unserem Bauch damit?
Gehirn im Bauch – das enterische Nervensystem
Unser Darm besitzt ein eigenes Nervensystem, ein komplexes Nervennetzwerk innerhalb der Darmwand, das die Bewegung des Darms bei der Verdauung reguliert. Das sogenannte „enterische Nervensystem“ oder „Bauchhirn“ verfügt über rund 100 Millionen Nervenzellen, die unabhängig und in Zusammenarbeit mit dem „Kopfhirn“ arbeiten.
Das Darmmikrobiom bestimmt unsere Gemütslage mit
Aber auch das Darmmikrobiom spielt eine entscheidende Rolle, wie wir uns fühlen. Ist es gestört oder verändert, kann dies zu depressiven Verstimmungen, geringer Stresstoleranz oder neurologischen Erkrankungen sowie chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen führen. Denn das Mikrobiom bzw. unsere Darmflora funktioniert als zentrales Bindeglied der Darm-Hirn-Achse und besteht aus Billionen Mikroorganismen, die nicht nur Signale an unser Gehirn senden, sondern auch an der Entwicklung neuroaktiver Botenstoffe beteiligt sind. So kurbelt es beispielsweise die Produktion der Glückshormone Serotonin und Dopamin an. Beide Stoffe sind entscheidend für unsere Stimmungslage und mentale sowie physische Gesundheit. So beeinflusst Serotonin unser Wohlbefinden, unseren Schlaf sowie unsere Ängste. Bis zu 95 Prozent dieses Botenstoffes entstehen im Darm, u.a. stimuliert durch Bakterien wie Bifidobacterium, Lactobacillus und Escherichia, und werden über den Vagusnerv an das Gehirn weitergeleitet.
Zudem bildet das Mikrobiom die Gamma-Aminobuttersäure (GABA) – ein Neurotransmitter, der im zentralen Nervensystem wirkt und eine beruhigende und angstlösende Wirkung hat. Die vom Darmmikrobiom beeinflusste Oxytocinbildung hingegen kann dabei helfen, soziale Interaktionen zu fördern und somit unsere Stimmungslage positiv zu beeinflussen.
Eine ausgewogene Ernährung ist ausschlaggebend
„Du bist, was du isst“, das trifft auch auf den Zustand unseres Mikrobioms zu. Eine ausgewogene, pflanzenbasierte Ernährung, die weitgehend auf industriell verarbeitete Lebensmittel verzichtet, kann positive Effekte auf die Gesundheit unseres Mikrobioms und Gehirns haben. Wer sich hingegen ballaststoffarm ernährt, unter Stress und Schlafmangel leidet und häufig Antibiotika nehmen muss, gefährdet das Gleichgewicht seiner Darmflora. Zudem können ein hoher Zuckerkonsum und der übermäßige Genuss von Fast Food depressive Verstimmungen begünstigen.
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Lösliche Ballaststoffe wirken hingegen Wunder, denn die „guten“ Bakterien in unserem Darm bilden aus ihnen kurzkettige Fettsäuren (SCFA, z. B. Propionat, Butyrat), die entzündungshemmend wirken, die Vermehrung schädlicher Bakterien reduzieren und als Energiequelle für unsere Darmschleimhaut dienen – sie stärken unsere Darmbarriere. Vorausgesetzt, die Aufnahme der löslichen Ballaststoffe ist abwechslungsreich und richtet sich nach der empfohlenen Tagesmenge.
Empfohlene Tagesmenge
Für eine gesunde Darmflora empfiehlt sich die tägliche Aufnahme von rund 30 Gramm löslichen Ballaststoffen – am besten abwechslungsreich aus Obst, Gemüse, Vollkorn, Hülsenfrüchten und Samen. Es gibt verschiedene Arten löslicher Ballaststoffe, die in unterschiedlichen Lebensmitteln vorkommen. Beispiele sind:
- Pektin: Äpfel, Zitrusfrüchte
- Inulin und Oligofruktose: Chicorée, Artischocken, Kohl, Lauchgewächse
- Beta-Glucane: Haferflocken, Gerste
- Flohsamenschalen, Lein- und Chiasamen
- Hülsenfrüchte
Darm und Psyche – ein junges Forschungsfeld
Seit Jahren beschäftigt sich das Forschungsgebiet der Ernährungspsychiatrie mit der Verbindung zwischen Darm und Gehirn und erkennt diese als gesichert an. Auch wenn die genauen Mechanismen dahinter noch im Detail erforscht werden müssen, hat sich das Fachgebiet in kurzer Zeit rasant entwickelt.
Schließlich geht die Ernährungspsychiatrie von dem Standpunkt aus, dass der Darm wie ein zweites Gehirn funktioniert. Über die Darm-Hirn-Achse, die Darmflora und die Produktion von Neurotransmittern beeinflusst dieses zweite Gehirn maßgeblich unsere Stimmung, unser Wohlbefinden und sogar das Risiko für neurologische und psychiatrische Erkrankungen, wie „Depression, Angststörungen, Parkinson und Alzheimer.
So überwiegen bei neurologischen Erkrankungen die entzündungsfördernden Bakterienarten in unserem Darm. Möglicherweise liegt infolgedessen ein Defizit von Stoffwechselprodukten wie kurzkettigen Fettsäuren vor, die entscheidend für die reibungslose Funktion und das Überleben unserer Nervenzellen im Gehirn sind.
Ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener Ernährung sowie regelmäßiger Bewegung und Sport sind die beste Medizin, um den Zustand des Mikrobioms und die damit verbundene psychische Gesundheit zu stärken und neurologische Erkrankungen zu vermeiden.
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