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Stress als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Dauerbelastungen und anhaltender Stress sind unterschätzte Risikofaktoren für Herzkrankheiten. Dr. med. Anne-Kathrin Collisi verdeutlicht, wie Stress Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflussen kann.

Prävention

lächelnde Frau mittleren Alters formt mit Ihren Fingern ein Herzsymbol

Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall werden meist mit den klassischen Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, hohe Blutfettwerte, Diabetes mellitus, Übergewicht und  Bewegungsmangel assoziiert. Auch das Lebensalter und erbliche Faktoren, wie Herzinfarkte, Bypass-Operationen und Schlaganfall bei Familienangehörigen ersten Grades, gehören zu den traditionellen Risikofaktoren.

Dr. Anne-Kathrin Collisi

Leitende Ärztin ias PREVENT Berlin, Mitglied der Geschäftsleitung, Fachärztin für Innere Medizin, Gesundheitsförderung und Prävention (BÄK) Ernährungsmedizin (DGEM) Fachgebundene genetische Beratung (BÄK), Hautkrebsscreening

Wie aber wirkt sich Stress als Risikofaktor auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus?

Wissenschaftler sind sich einig darüber, dass Stress, insbesondere langanhaltende psychische Belastungen, ein stark unterschätzter Risikofaktor bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist:

  • Der Blutdruck steigt. Stress kann zu einer erhöhten Freisetzung von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol führen, die den Blutdruck erhöhen können.
  • Die Herzfrequenz erhöht sich, was das Herz belasten kann. Menschen mit bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind besonders gefährdet.
  • Der Blutzuckerspiegel verändert sich. Stress kann die Freisetzung von Glukose aus der Leber stimulieren, was den Blutzuckerspiegel steigen lässt. Hält dieses Niveau dauerhaft an, steigt das Risiko für Diabetes mellitus.
  • Schlafstörungen: Schlechter Schlaf und infolgedessen mangelnde Regeneration, können sich negativ auf die Herzgesundheit auswirken. 
  • Entzündungsreaktionen: Angenommen wird, dass es bei Dauerstress zur Schädigung der Gefäße kommt. Eine vermehrte Ausschüttung von weißen Blutkörperchen aus dem Knochenmark dürfte dabei eine wesentliche Rolle spielen. Über diesen Mechanismus werden die Gefäßwände mit Entzündungsstoffen traktiert. Es scheint, dass die Entzündungsmechanismen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Gefäßwandschädigung und Atherosklerose spielen.
  • Ungesunde Verhaltensweisen: Menschen, die unter Stress stehen, greifen häufig zu ungesunden Bewältigungsstrategien wie übermäßigem Essen, Alkoholkonsum, Rauchen oder Inaktivität. Ob das Glas Rotwein als vermeintliche Entspannung nach einem langen Tag oder der fettige Snack am Abend als schnelle „Belohnung“. Auch diese durch Stress getriggerten Verhaltensweisen können das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen weiter erhöhen.
Portrait Dr. Anne-Kathrin Collisi

Nichttraditionelle Risikofaktoren, wie Stress im Beruf und Schlafstörungen, nehmen weiter zu. Frauen sind dabei anders betroffen als Männer.

Dr. Anne Collisi

Internistin mit Schwerpunkt Präventiv- und Gender medizin

Nichttraditionelle Risikofaktoren

Arbeitsstress, Schlafstörungen und Müdigkeit, die als nichttraditionelle Risikofaktoren für Herzinfarkt und Schlaganfall gelten, nehmen bei Frauen stärker zu als bei Männern. Dies zeigt eine Studie, die auf der Konferenz der European Stroke Organisation (ESOC 2021) vorgestellt wurde. Forscher verglichen Daten von 22.000 Männern und Frauen aus der Schweizerischen Gesundheitsbefragung aus den Jahren 2007, 2012 und 2017 und stellten eigenen Angaben zufolge einen alarmierenden Anstieg bei der Anzahl der Frauen fest, die nichttraditionelle Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen angeben. Die Untersuchung ergab auch, dass die traditionellen Risikofaktoren für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im gleichen Zeitraum stabil geblieben sind. 

Weibliches Herz-Kreislaufsystem reagiert sensibler auf Stress

Auch bei der Reaktion auf Stress und deren Auswirkungen gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Weil das weibliche Herzkreislaufsystem sensibler auf Stress reagiert als das männliche, steigen auch die durch die Belastung induzierten Erkrankungen stärker an. Insgesamt sind psychosoziale Belastungen und der Stress allgemein bei Frauen in den letzten Jahren stark angestiegen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind jedoch nicht nur Folgeerkrankungen von psychischer Belastung und Stress, sie können ihrerseits psychische Belastungen und Ängste auslösen. Rund 20 bis 40 % der Herz-Patientinnen und -Patienten entwickeln eine Angststörung oder Depression. Frauen sind auch nach einem Herzinfarkt häufiger von einer Depression und mentalem Stress betroffen als Männer. Herz-Kreislauf-Patientinnen und Patienten mit Depression oder Angststörung haben ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko, eine höhere Rehospitalisierungsrate sowie eine niedrigere Lebensqualität als Patientinnen und Patienten ohne Depression.

Das Angstzentrum des Gehirns, die sogenannte Amygdala, spielt hier eine zentrale Rolle. Bei Frauen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist dieses häufig chronisch aktiv, nicht jedoch beim männlichen Geschlecht. Die Aktivität des Angstzentrums im Gehirn nimmt bei gesunden Männern mit dem Alter ab, während sie bei Frauen persistierend hoch ist. Letzteres könnte die erhöhte Prädisposition von Frauen gegenüber Stress-induzierten Schäden am Herzkreislaufsystem erklären.

Wenn sich ein gebrochenes Herz wie ein Herzinfarkt anfühlt

Wie starke akute emotionale Belastungssituationen das Herz aus dem Takt bringen können, zeigt das sogenannte broken heart syndrom oder auch Tako-Tsubo-Kardiomyopathie. Tritt eine äußerst belastende Situation auf, wie intensive Emotionen, der Tod eines Partners/Partnerin oder ein schweres Trauma nach Katastrophen, kann sich ein Takotsubo-Stress-Syndrom entwickeln. Dabei dehnt sich die linke Herzkammer aus und die Pumpleistung nimmt vorübergehend ab.

Die Symptome ähneln denen eines Herzinfarkts. Die Herzkatheteruntersuchungen zeigen in diesem Fall unauffällige Gefäße. Mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) kann eine für das Broken-Heart-Syndrom charakteristische „ballonartige“ Verformung, die typischerweise den gesamten vorderen Abschnitt der linken Herzkammer betrifft, besonders genau. Die Erkrankung kann tödlich enden, die meisten Patientinnen und Patienten erholen sich jedoch mit angemessener Behandlung innerhalb weniger Tage. Das autonome Nervensystem spielt im Krankheitsprozess eine wichtige Rolle. Auch hier scheinen Stresshormone Entzündungswege anzukurbeln. Vor allem bei Frauen nach den Wechseljahren tritt die Erkrankung häufiger auf. Betroffene Männer haben allerdings oft einen schwereren Verlauf als Frauen.

Quellen: Ärzteblatt, Universitätsspital Bern, Klinikum Uni Heidelberg

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