Es grünt vor der Haustür, der Flieder duftet und wir wünschen uns nur eins: Raus an die frische Luft. Für alle, die ein paar Corona-Kilos abtrainieren wollen oder den Ausgleich zum Arbeitsalltag suchen, joggen an der frischen Luft ist auch unter Pandemie-Bedingungen ideal. Die Ansteckungsgefahr ist gering und der Bewegungsspielraum groß. Dr. Jochen Hansel ist laufbegeisterter Sportmediziner und erklärt, wie Sie gesund in die Laufsaison starten.
Gesundheitsförderung
Dr. Jochen Hansel, Facharzt für Innere Medizin, Sportmediziner und Standortleiter ias PREVENT Stuttgart:
Seit vielen Jahren bin ich ein begeisterter Läufer. In der Woche sind es eher kürzere Distanzen, am Wochenende stehen längere Einheiten an. Schon zum Beginn des Jahres trage ich mir sorgsam in den Kalender ein, an welchen Volksläufen ich teilnehmen möchte. In Zeiten von Corona wird meine Laufplanung leider auf den Kopf gestellt: Nicht nur die organisierten Laufevents sind abgesagt, selbst das Trainieren mit den Lauffreunden findet nicht statt. Ich bin auf mich selbst gestellt im Training. Flexibilität ist eben auch beim Laufen gefragt - wie auch eine gute Vorbereitung.
Für alle, die neu mit dem Lauftraining beginnen oder ein Comeback als Jogger anstreben, hier zwei Ratschläge von mir als erfahrener Läufer und Sportmediziner: Beachten Sie das Lauf-ABC und lassen Sie sich vor Trainingsbeginn gründlich durchchecken.
Lauf-ABC: Übung macht den Meister
Einfach loslaufen? Besser nicht. Spätestens, wenn wir regelmäßig joggen, bewahren uns Laufregeln und Übungen vor Schmerzen in Fuß, Bein, Knie oder Hüfte. Mit dem Lauf-ABC können wir unseren Laufstil so optimieren, dass die Wahrscheinlichkeit klassischer Verletzungen durch Überlastung sinkt.
Was ist das Lauf-ABC?
Das Lauf-ABC erinnert ein wenig an unsere Schulzeit: Wie beim Lesen lernen geht es darum, durch das Zusammenziehen von einzelnen Einheiten den Gesamtablauf zu verbessern. Beim Lauf-ABC werden Einzelelemente (wie der Fußabdruck oder die Rhythmusfähigkeit) geübt, um diese im Anschluss in der Laufbewegung in ein Gesamtbild zusammenzufassen. Indem wir die Übungen ausführen, perfektionieren und in der gesamten Laufbewegung zusammenführen, können wir unseren Laufstil optimieren.
Die Vorteile des Lauf-ABC:
Ihr Laufstil verbessert sich
Sie laufen kraftsparender (ökonomischer), gelenkschonender und letztendlich schneller
Sie steigern Ihre Koordinationsfähigkeit und das Zusammenspiel des Zentralnervensystems und des Bewegungsapparates (Muskeln, Knochen, Gelenke, Sehnen, Bänder, Faszien)
Sie trainieren Muskeln, die gern mal vernachlässigt werden, wie unsere Po-Muskulatur, die durch häufige Büroarbeit leicht verkümmert.
Sie beugen Dysbalancen im Bewegungsapparat vor
Die Übungen sind perfekt zum Aufwärmen
Das Lauf-ABC umfasst eine Reihe von Laufübungen. Doch keine Sorge, im Gegensatz zum Schul-ABC müssen es keine 26 Bewegungen sein.
Mit diesen vier Übungen können Sie schon viel erreichen:
Ziehen Sie die Ferse in Richtung Gesäß und bewegen Sie Ihre Arme mit. Achten Sie darauf, dass die Oberschenkel immer parallel bleiben. Wirkung: Höhere Beweglichkeit, die Kniegelenke und – bei intensiverer Ausführung – die rückseitige Oberschenkelmuskulatur wird angeregt.
Ziehen Sie das Knie mit hoher Frequenz nach oben bis in die Waagerechte gezogen. Der Fuß landet auf dem Ballen und rollte sich auf die Ferse ab. Die Arme schwingen gegengleich mit dem Bewegungsablauf mit. Achten Sie auf eine waagerechte Körperhaltung und drücken Sie Ihr Bein gern kräftig vom Boden ab. Wirkung: Der Kniehebellauf unterstützt die Rumpfstabilität und die Hüftmuskulatur.
Hopserlauf
Diese Art der Fortbewegung kennen wir noch aus Kindheitstagen. Abwechselnd werden die Oberschenkel nach oben gezogen und der gegengleiche Arm aktiv mitgenommen, wobei der Ellenbogen fast bis zum Knie mitschwingen kann. Als Variation wird der Hopserlauf auch rückwärts durchgeführt. Wirkung: Ganzkörperstreckung und präzisere Fußaufsätze
Stellen Sie sich hüftbreit auf und heben Sie Ihre Arme seitlich auf Schulterhöhe an. Die Handflächen zeigen nach oben und aufrechte Position des Oberkörpers während der gesamten Übung beibehalten. Kreuzen Sie nun den rechten Fuß vor dem linken und bewege dich so nach links. Setzen den linken Fuß seitlich nach links und kreuze dann den rechten Fuß hinter dem linken. Die Bewegung kommt aus der Hüfte, den Oberkörper möglichst ruhig halten. Danach Richtung wechseln. Wirkung: Kräftigung der Beininnen- und Beinaußenseiten und des mittleren Pomuskel, höhere Stabilität und verbessertes Koordinationsvermögen
Medizin-Check: Vorsicht ist besser als Nachsicht
Wer verletzungsfrei laufen und trotz vieler Kilometer gesund bleiben will, sollte sich einem Check-up unterziehen. Ein Arztbesuch ist vor allem bei Übergewicht, chronischen Erkrankungen wie Asthma Bronchiale oder Diabetes und bekannten Vorerkrankungen wichtig. Besonders Lauf-Anfänger über 35 Jahren sollten sich beraten und abklären lassen, ob ein erhöhtes Risiko für Arteriosklerose besteht. Diese Verhärtung der Schlagadern ist die häufigste Ursache für einen Herzinfarkt.
Wer verletzungsfrei laufen und trotz vieler Kilometer gesund bleiben will, sollte sich unbedingt medizinisch durchchecken lassen.
Zudem lege ich jedem eine Leistungsdiagnostik und eine Atemgasmessung ans Herz:
Die Leistungsdiagnostik auf dem stationären Fahrrad (Ergometer) oder dem Laufband zeigt durch die Watt- oder Geschwindigkeitsangabe wie leistungsfähig der Teilnehmer ist. Auch sehen wir, wie sich der Blutdruck und die Herzfrequenz während der Belastung entwickeln. Nützliche Angaben für ein weiteres Training: Denn auch meine Pulsuhr benötigt die Angabe der maximalen Herzfrequenz. So hilft der kleine Computer, den schmalen Grat zwischen Höchstleistung und Überanstrengung zu treffen.
Ergänzend rate ich zur Atemgasmessung/Spiroergometrie - ein Verfahren, mit dem wir die Belastbarkeit der Lunge und des Herzkreislaufsystems prüfen. Wir messen die Konzentration von Sauerstoff und Kohlendioxid in der Atemluft (Atemgase) unter körperlicher Belastung. So lassen sich die individuelle Belastungsgrenze, die Leistungsfähigkeit oder der Trainingserfolg eines Menschen beurteilen.
Beide Untersuchungen liefern wertvolle Anregungen zur Gestaltung eines Trainingsplanes und zeigen bspw., in welcher Geschwindigkeit des Laufens ich meinen Fettstoffwechsel ankurble und wann meine aerob-anaerobe Schwelle erreicht wird. Das ist der Übergangsbereich von einem ruhigen Tempo hin zu anstrengenderen Laufeinheiten. Kennen wir den Schwellwert, können wir individuell für den Läufer sinnvolle Herzfrequenzen für das Training benennen.
Check-up und Lauf-ABC - so vorbereitet, entlasse ich Sie gern in Ihr Lauftraining 2021 und möchte Ihnen nur noch eine Läufer-Weisheit zur Motivation mitgeben: "Wie langsam du auch läufst - du schlägst alle, die zu Hause bleiben!"